Handschrift des Monats September 2023: Doppelt hält besser – Statuten der Maria-Magdalena-Bruderschaft in Köln (Cod. 243 und 422)

01.09.23, 00:01
  • Handschrift des Monats Aktuelles

Die Bruderschaften des Mittelalters sorgten für ein regelmäßiges Totengedenken, indem die im Bruderschaftsbuch eingetragenen Namen in den Gottesdiensten der Gemeinschaft verlesen wurden. Die Maria-Magdalena-Bruderschaft an St. Laurenz in Köln hatte gleich zwei solcher Statuten- und Namensbücher – der bislang einzige bekannte Fall einer Doppelüberlieferung.

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In zahlreichen Städten entstanden im hohen und späten Mittelalter Bruderschaften, deren Anliegen im Wesentlichen das Totengedenken war. Lange Zeit konnten lediglich wohlhabende Adlige und Geistliche durch Klostergründungen oder Stiftungen von wertvollen Handschriften und anderem für ein jahrhundertelanges Gedenken im Gebet von geistlichen Frauen und Männern sorgen. Die Laienbruderschaften brachen dieses dem Seelenheil dienende Anliegen sozusagen auf die finanziellen Möglichkeiten der bürgerlichen Schicht herunter. Sie entstanden demnach als freiwillige Zusammenschlüsse von Laien und Priestern, die sich religiösen Zwecken widmeten und meist von einem jährlich wechselnden Vorstand, den sogenannten Meistern, geführt wurden. In Köln sind zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert ganze 129 solcher Laienbruderschaften nachzuweisen. (Cod. 243, fol. 1r)

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Die Statuten und Namenslisten der Bruderschaften wurden in eigens dafür angelegten Bruderschaftsbüchern aufgezeichnet, die in der Regel von einem Meister zum nächsten weitergegeben wurden. Besonders die Mitgliederlisten sind eine wichtige Quelle für die prosopographische Forschung. Immerhin 35 dieser Bücher sind in Köln erhalten; dazu kommen Quellen wie Rechnungsbücher, Aufnahmeregister sowie Urkunden, die etwa Privilegien und Ablässe festhielten. Manchmal konnten diese Dokumente in einer eigenen Kiste in der Sakristei jener Kirche aufbewahrt werden, an der die Bruderschaft ihren Sitz hatte. Wurden sie jedoch nur privat innerhalb der Bruderschaft weitergegeben, gingen sie in späteren Zeiten oft verloren, was die großen Überlieferungslücken in diesem Bereich erklärt. Für Köln hatte der im vergangenen Jahr verstorbene Historiker Klaus Militzer alle erhaltenen Quellen in einem vierbändigen Werk zusammengetragen, das von 1997 bis 2000 erschien und der Forschung enormen Auftrieb gab. (Cod. 422, fol. 13r)

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Im Bestand der Dombibliothek finden sich gleich zwei Bruderschaftsbücher der Maria-Magdalena-Bruderschaft an St. Laurenz, Cod. 243 und Cod. 422, sowie ein von dieser Bruderschaft gestiftetes Messbuch (Cod. 257), das im nächsten Monat vorgestellt werden soll. Die Bruderschaft selbst wurde 1444 gegründet, zunächst als Memorienstiftung für den Kölner Priester Godert von Goch, Rektor der Silvesterkapelle an St. Laurenz, und seine Tante Elisabeth. Zugleich mit ihm unterschrieben auf der Gründungsurkunde jedoch vier wohlhabende Kölner Bürger, die zu diesem Zeitpunkt der Goldschmiedegaffel angehörten und als Ratsherren amtierten. Viel variantenreicher wurde die Mitgliederstruktur der Bruderschaft im Laufe ihres Bestehens übrigens nicht – es finden sich fast nur Goldschmiede und Ratsherren auf den Namenslisten. Es ist also „nicht unbedingt die Welt des kleinen Mannes“ (Militzer 2006), die die Bruderschaftsbücher abbilden, sondern jene der reicheren und mächtigeren Einwohner der Stadt. Wobei in der Maria-Magdalenen-Bruderschaft auch Frauen zugelassen waren, zumindest die Ehefrauen der männlichen Brüder. (Cod. 243, fol. 28r)

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Mit seinen Statuten und Mitgliederlisten ist ein Bruderschaftsbuch eine Art offizielles Amtsbuch. In Köln besaß offenbar lediglich die Maria-Magdalenen-Bruderschaft zwei Exemplare davon: Da es immer zwei Brudermeister gab, sollte wohl jeder von Ihnen über ein eigenes Amtsbuch verfügen können. Die beiden Handschriften sind sich daher zwar ähnlich und zum großen Teil von den gleichen Händen in ripuarischem Dialekt geschrieben, aber keinesfalls identisch. So beginnen beide mit den Statuten von 1444 und Nachträgen dazu bis 1477. Weitere Nachträge von 1492 und 1495 finden sich jedoch nur in Cod. 422, während nur Cod. 243 mit Nachträgen von 1531 aufwartet (Cod. 243, fol. 22v). Auch die Mitglieder- und Verstorbenenlisten sind reichlich komplex – genaueres möge man bei Interesse einem Beitrag von mir aus dem Jahr 2008 entnehmen.

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Die Statuten legen u.a. den Mitgliedsbeitrag fest, die vierteljährlichen Totengedenken und die Begräbnisfeiern von Mitgliedern. Dabei anwesende Brüder erhielten jeweils ein sogenanntes Präsenzgeld; auch die Entlohnung für Priester, Küster, Organist, Bläser und Boten der Bruderschaft wird in den Statuten genau geregelt. Größter Wert wird allerdings auf die Gestaltung des jährlichen Bruderschaftsmahls gelegt, das am 22. Juli, dem Gedenktag der hl. Maria Magdalena, vom jeweiligen Meister auszurichten war (Cod. 243, fol. 6v). Die Tische müssen sich dabei regelrecht gebogen haben: Die Aufzählungen von gekochtem Schinken, Pökelfleisch, Ochsenzungen, Huhn mit Rosinen und Kraut, Ente mit Reisbrei, Käse und Obst der Saison, Brot und Wein nach Belieben lassen sofort Bilder von Dekadenz und Völlerei erstehen. Kritik blieb nicht aus, erst recht nicht in reformatorischer Zeit. Allerdings muss man dieses Mahl eher als „Sichtbarmachung des eigenen Status in der Gesellschaft“ und „Anspruch auf Respekt“ (Militzer 2006) begreifen – die Reichhaltigkeit des Bruderschaftsmahls war ein direktes Zeichen von Ansehen und Bedeutung der Bruderschaft innerhalb der Stadtmauern.

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Dennoch stand in erster Linie die Memoria hinter dem Bruderschaftsgedanken, die Sorge um ein angemessenes Gedenken der Verstorbenen, ein würdiges Begräbnis, eine möglichst ewige Fürbitte für das Seelenheil. Es verwundert daher wenig, dass die Bruderschaften in reformatorischer Zeit untergingen bzw. durch reine Gebetsvereinigungen wie etwa die Rosenkranzbruderschaften ersetzt wurden. Petrus Boden und Antonius Wormbs, beide Pfarrer an St. Laurenz, versuchten im 17. Jahrhundert eine Wiederbelebung der Maria-Magdalenen-Bruderschaft in diesem Sinne, wovon auch die nachgetragenen Mitgliederlisten zeugen (Cod. 243, fol. 42r). Die letzten spärlichen Eintritte sind für 1676 verzeichnet; danach scheint die Bruderschaft für die stadtkölnische Führungsschicht endgültig an Attraktivität verloren zu haben und verschwindet im Dunkel der Geschichte.